Rotterdam Marathon 2006

Der Anfang vom Ende

Am 9.4.2006 war es soweit, der Rotterdam-Marathon stand an, aber bevor ich vom Lauf berichte, fange ich da an wo alles begann, denn ohne die Vorgeschichte macht das alles nur den halben Spaß.

Nach dem letzten Lauf von GMH im Dezember 2005, wo mich meine Lauffreundin Annette Hamm abgebürstet hat und mich in „Holland“ hat locker stehen lassen, formte sich bei ihr der Endschluss endlich mal einen Lauf in ihrer eigentlichen Heimat durchzuziehen. Nachdem der Termin für Egmont nicht zu halten war, kam die Idee auf in Rotterdam zu laufen. Die Idee wurde bestärkt, weil Wolfgang Ruh sich an alte Zeiten erinnerte und endlich mal wieder ein schnelles Rennen machen wollte. Dazu schien Rotterdam wohl bestens geeignet. Hinzu kam noch das Wolfgang mir den Federhandschuh hinwarf und behauptete mich ganz locker unter 3h:30min zu schlagen. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und ich behauptete mutig glatt das Gegenteil. Damit begann also das Drama dieses Frühjahrs. Jetzt konnte ich mein Training nicht einfach so schleifen zu lassen.

Auf die richtige Vorbereitung kommt es an.

Meine Vorbereitungen begannen zunächst damit mich wie in der letzten Saison für alle Läufe anzumelden. Das war ganz klar die Nike Winterlaufserie, der Fortis-Marathon in Rotterdam, der Rhein-Ruhr-Marathon und mein Klassiker vom 1.Mai, der Halbmarathon in Flüren. Aber wie trainiert man nun für einen Marathon, der schon so früh ist?

Zunächst versuchte ich einen Trainingspartner zu finden, der mir zum Ziel verhelfen sollte, Wolfgang unter 3h:30min zu schlagen. Migo Spoden erschien mir sehr geeignet aber nach kurzer Rücksprache lehnte er entrüstet ab, weil er sich nicht für ein Tempo um 4:00 h eignen würde. Eine reine Provokation gegenüber Wolfgang. Dabei hatte Migo die über 10 kg Übergewicht von Wolfgang mit einkalkuliert und rechnete nicht damit, dass die Pfunde verschwinden könnten. Damit war ich auf mich selber angewiesen und so verließ ich mich wie im letzten Jahr auf mein eigenes Gefühl.

Mein Trainingsplan war einfach und bestand über die ganze Zeit aus drei Trainingseinheiten pro Woche. Montags einen „Hammerstein“ oder eine „Ente mit Fang“, mittwochs das Tempotraining vom LC Duisburg und samstags eine lange Laufeinheit, die immer mindestens 25 km betrug. In Summe lief ich jedoch nie mehr als 65 km in einer Woche. Mehr war einfach zeitlich nicht für mich drin, denn es gibt ja neben der Arbeit und dem Laufen auch die Familie, die ein Anrecht auf einen hat.
Doch was machte meine Laufkonkurrenz? Ich hatte keine Ahnung was Annette und Wolfgang sich so überlegt hatten, aber es hatte sehr bald den Anschein, dass sie nach demselben streng gehüteten und geheimen Trainingsplan arbeiteten.

So kam es, dass ich oft montags alleine laufen musste (oder durfte). Das hat mir jedoch geholfen, weil ich mein Tempo alleine bestimmen konnte. Beim Tempotraining ging ich mutig wie ich war immer in die schnelle Gruppe von Klaus Geiger, auch wenn ich da immer hinten dran war. Das brachte mich aber besser nach vorne als alles andere. Samstags nachmittags war dann das Treffen der Titanen, manchmal unterstützt durch Dieter Stolz und Bernd Wagner. Jeder beäugte den anderen, wie er denn so drauf wäre. Klar war das Wolfgangs Pfunde allmählich weg schmolzen und er so langsam in Fahrt kam. Der erste Test war die Winterlaufserie mit dem 10 km-Lauf. Unter ziemlich rutschigen Bedingungen landete ich bei einer Zeit von 43 min, knapp vor Dieter und dann mit deutlichem Abstand gefolgt von Annette und Wolfgang. Damit war eine erste Marke gesetzt, jedoch sind 10 km noch keine 42 km und so ging das Training weiter. Knapp einen Monat später bei dem 15 km-Lauf war der Stand der gleiche, der Abstand war kürzer, aber immer noch deutlich. Jetzt war die Frage der Vorbereitung der letzten fünf Wochen. Ich war mutig geworden und wollte das Double: Den Sieg in der Winterlaufserie - wenn es geht in neuer Bestzeit - und den Marathon in Rotterdam gewinnen. Damit machte ich weiter Tempo und bei gemeinsamen Läufen mit Annette fiel ihre extreme Trainingsplandisziplin auf. Bei einem 5er Tempo-Lauf wurde ich zur Schnecke gemacht als ich die km mit 4min:56s herunterspulte. Ein anderes Mal war der Puls von Annette um zwei Schläge zu hoch, was fast einer Katastrophe gleich kam. So entschloss ich mich (auch wegen der MSV-Heimspiele und anderer privaten Verpflichtungen) mit Dieter Stolz die langen Läufe am Samstagvormittag zu laufen. Hier gab es keine Pulsuhr und ich konnte auf meine Uhr so oft schauen wie ich wollte. Mit diesem Instrument hatte ich mir jedoch die Möglichkeit abgeschnitten, Annettes und Wolfgangs Trainingsstand einordnen zu können. Durch einen Zufall bekam ich heraus, dass beide immer noch eine vierte Einheit pro Woche durchzogen. Das beunruhigt schon etwas, ändern ließ sich das bei mir nicht und so ging ich fast unbeirrt in die letzte Trainingsphase.
Bernd Wagner meldete mir den Trainingsstand von Wolfgang und Annette zurück und befand diesen für bemerkenswert gut. Bei mir hätte er die klare Einschätzung, dass ich lange nicht so locker laufen würde wie im letzten Jahr und ich bei weitem nicht so gut drauf wäre. Das machte mich schon ein wenig nachdenklich, zumal ich der Tempotrainingsgruppe von Klaus nicht immer gut folgen konnte.
Das Wochenende vor dem Rotterdammarathon stand im Zeichen der Winterlaufserie. Hier hatte ich das Ziel Dieter nicht vorbeizulassen, was mir auch knapp gelang. Sicherheitshalber bin ich die letzten 5 km nicht voll gelaufen, denn ich wollte mir nicht selber vorwerfen, alle meine Körner schon vor dem Marathon verschossen zu haben. 1h34min und ein bisschen ist aber ganz brauchbar für einen Halbmarathon. Annette und Wolfgang haben an diesem Tag den wahnsinnigen Versuch gemacht vor der Winterlaufserie noch einen 10er zu laufen, so dass sie an diesem Tag auf 30 km gekommen sind. Die letzte Woche vor einem Marathon mache ich normalerweise fast nichts, da aber meine beiden Lauffreunde Sonntag auch aktiv waren, lies ich mich nicht lumpen und wir machten gemeinsam am Montag von einen 3x2 km Tempolauf und am Mittwoch noch einen 5x1 km Tempolauf. Tja, das waren die Vorbereitungen und schließlich war es soweit.

Auf nach Rotterdam

Am Samstag hatte ich alle meine Sachen gepackt, sicherheitshalber auch Ersatzschuhe, Ersatzschuhriemen und Socken. Aber was sollte ich sonst anziehen? Der Wetterbericht deutete keine Temperatur von über 12°C an, es sollte auch windig werden. Also packte ich alles ein. Meine lange unverwechselbar bunte Hose, das vergleichbare Stück in halblang und eine kurze Hose, meine langes Woll-Shirt, mein langes Baumwoll-Shirt, T-Shirt, LC-Trikot und die Trainingjacke. Wolfgang holte Annette und mich ab und es ging dann innerhalb von 3 h nach Rotterdam in unser Hotel. Nach dem Einchecken ging es zur Marathonmesse, wo wir die Startunterlagen abholten. Die Messestände waren interessant, der neue Ascis-Schuh wurde in einem Dark-Room aufwändig präsentiert. Die Features des Schuhs sind nicht schlecht, jedoch hält mich ein Preis von 180 € davon ab, diese Features zu nutzen. Außerdem glaube ich nicht daran, das mich 20 g weniger Schuh mit zeitlich wesendlich nach vorne bringen. Das weniger an Material bedeutet auch weniger Haltbarkeit und ich brauche ungern mehr als 1 Paar Laufschuhe pro Jahr.
Ein paar Powerbars und Powergel rundeten meinen Einkaufsbummel ab. Annette ließ sich am Adidas-Stand noch mal die Abrollbewegung ihrer Füße erläutern, taktische Vorteile ergaben sich jedoch nicht.
Einkaufen musste ich auch noch, denn ich brauchte noch Schokostreusel und einige Liter Vla für meine Kinder.
Am Abend ging es in ein China-Restaurant in der Nähe des Starts, wo wir erbarmungslos beim Buffet zuschlugen. Wolfgang behauptete noch beim Nachtisch, dass er gleich mal mit der Hauptspeise anfangen würde, am Ende war er dann doch vorsichtig.

Los gehts...

Nach einer unruhigen Nacht begann der nächste Morgen mit dem Blick nach draußen. Es war wolkenlos, es schien kalt zu sein und aus der Erfahrung vom Vortag war es wahrscheinlich windig. Also, wieder die Frage, was ziehe ich an? Ich zog meine mittellange Hose, T-Shirt und Trikot über, wie immer mit Unterhemd. Dann ging es zum Frühstück. Wir waren um 9:00 Uhr verabredet und um 9:04 Uhr startete ich einen Weckruf. Wolfgang meldete sich, dass er gleich kommen würde. Auch Annette kam kurze Zeit später dazu. Das Frühstück war für holländische Verhältnisse überaus gut, das selbst gebackene Brot wurde von allen Läufern (etwas die Hälfte des Hotels war von Läufern besetzt) gerne gegessen. Auschecken und das finale überprüfen der Ausrüstung war angesagt. Ich zog dem T-Shirt ein langärmliches Shirt vor. Dann war es soweit: Die Taschen wurden im Hotel deponiert und jetzt gab es kein zurück mehr. Auf in den Start-Block, er war keine 800 m vom Hotel entfernt. 10 Minuten vor dem Startschuss kreisten schon die Hubschrauber über unseren Köpfen. Die Nervosität stieg und Annette wollte schon fast nicht mehr starten, aber mit gefangen ist mit gehangen. Um Punkt 11.00 Uhr war wohl der Startschuss gefallen, den wir von unserer Position nicht bemerkten. Erst nach knapp 7 Minuten ging es für uns über die Startlinie. Wir wünschten uns allen Glück und legten fest, der Bessere solle heute gewinnen. Der erste km war ziemlich beschwerlich, denn es war ein ziemliches Gedrängel auf der Strasse. So war dieser km durch häufiges hin und her, bremsen und beschleunigen gekennzeichnet. Nach 5min 15 s passierte ich km 1, damit war klar, dass ich ein wenig schneller laufen musste, um nicht aus dem Ruder zu laufen. Das war schwieriger gesagt als getan, aber bei km 3 lag ich mit 14min:45s wieder voll im Plan. Das lag vor allem daran, weil ich die Erasmusbrücke als Geisterfahrer auf der anderen Spur mitnahm. Die km flogen nun an mir vorbei, aber bis km 10 überholte ich immer sehr langsame Läufer, die sich zum Start etwas zu weit vorne eingeordnet hatten. Erst ab diesem Zeitpunkt war man nur wenig von anderen Läufern behindert. Wir drehten nun die erste Runde um einen Park im Süden von Rotterdam. Breite Strassen und eine gute Streckenführung machten das Laufen zum Vergnügen. Am Ende des Parks war bereits km 15 erreicht und ich lag sehr gut in meiner Zeitplanung 1h:13min:11s. Kurz vor km 21 liefen wir in eine Kehre, wo ich auf der Gegenfahrbahn eine Person wahrnahm, die so aussah wie Wolfgang. Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, wann er mich überholt haben könnte und so hoffte ich auf eine Fata Morgana. Über den Stadionweg ging es zum Feyenoord Stadion, anschließend nach km 25 über eine lange Gerade durch Häuserzeilen von Rotterdam wieder in Richtung Erasmusbrücke. Diese sah man schon aus großer Entfernung und ich arbeitete mich so langsam an das Etappenziel heran. Die Steigung dort war schon deutlich spürbar, dank des Trainings mit Dieter brachte mich das nicht zur Verzweiflung. Hinter der Brücke ging es in einer Biegung nach links in einer Kehre nach rechts und dann unter die Fahrbahn, die uns geradewegs ins Ziel geführt hätte. Das war aber noch ca. 14 km entfernt. Ein Blick auf die Uhr zeigte an, dass die Ersten so langsam in Richtung Ziel streben würden. Tatsächlich die schnellen Hirsche kamen uns entgegen. Km 31 passierte ich unter 2h30 min, was mir Sicherheit für den letzten Rest der Strecke gab. Auf der Gegenseite war die 40 km Marke, die ich auch noch zu passieren hatte. Vor dem nächsten Getränkestand genehmigte ich mir ein Powergel und anschließend zwei Becher Wasser, denn ich hatte ein bisschen das Gefühl Hunger zu bekommen. Bei Km 32 trennten sich die Wege wieder und es ging in einer großen Rechtsschleife um einen Park herum. Bei km 38 traf ich dann auf die Läufer, die die Schleife noch vor sich hatten. Hier wird der dramatische Geschwindigkeitsunterschied deutlich, einmal der Läufer, die zuvor auf meinem Hinweg die Marke passiert hatten und jetzt die Geschwindigkeit der Läufer, die jetzt erst kamen. Nun gut, ich lag irgendwie dazwischen. Schließlich kam km 40. Die 3h:15min:32s gaben mir genug Sicherheit für die letzten Meter. Jetzt wurde man von den Zuschauern ins Ziel begleitet, mit 3h:26min:11s erreichte ich mein Zeitziel. Jetzt die Frage, wo waren oder sind meine Mitkonkurrenten? Aber ich hatte keine Zeit zum Nachdenken und wurde durch den Auslaufbereich gedrängt, wo es schnell Folien zum Einwickeln gegen den kühlen Wind, dann isotonische Getränke und die Medaille gab. Ich wartete noch eine ganze Weile auf meine beiden Laufkollegen, aber ich fing an zu frieren und so ging ich zum Hotel zurück. Dort war eine ganze Etage zum Duschen für Läufer vorbereitet. Kaum war ich aus der warmen Dusche heraus, hörte ich eine Stimme, die ich aus 1000 anderen immer heraushöre, die Stimme von Annette. Als ich auf den Flur kam, sahen mich die beiden und fragten mich ob ich es wenigstens geschafft hätte. Ich meldete kurz meine Zeit und wurde von Annette herzlichst umarmt. Auch Wolfgang beglückwünschte mich ebenso. Wolfgang kam mit einer Zeit von 3:44 min in Ziel, Annette etwas später. Sie hatte glatt vergessen ihre Uhr zu drücken. Damit stand fest, dass ich Wolfgang locker geschlagen hatte und mein Zeitziel unter 3h:30min sicher erreicht hatte.

Ausklang

Ich wartete nun eine Weile, bis meine beiden Laufkollegen endlich auch geduscht hatten. Bei Annette dauerte das - wie immer - etwas länger, da sie sich (aus mir völlig unverständlichen Gründen) noch schminken wollte. Schließlich packten wir die Sachen ins Auto und gingen dann zum Essen essen. Jetzt wird sich der geneigte Leser fragen, wer denn das Essen bezahlt hat. Das war schon vor dem Lauf festgelegt worden: Wir hatten alle die Zeiten aufgeschrieben, die wir glaubten, die die anderen und man selbst laufen würden. Derjenige, der die größte Abweichung hätte, musste das Essen bezahlen. Wir gingen also in die Fußgängerzone zurück, wo uns immer noch viele Läufer auf dem Weg zur Dusche entgegen kamen. Nach einem riesigen Berg Pommes mit Ketchup und Mayonnaise sowie einer Cola mit Zucker, den Wolfgang zu zahlen hatte, fuhren wir nach Hause, ohne jedoch das Rennen in allen Einzelheiten zu analysieren und mit unseren Trainingplänen in Verbindung zubringen.

Nach dem Lauf ist vor dem Lauf

Die tief greifende über Tage währende Analyse hat nun ergeben, dass sowohl Annette als auch Wolfgang möglicherweise zu viel trainiert haben und am Tag der Tage einfach fertig waren. Damit konnten sie ihre prinzipielle Leistung nicht mehr abrufen. Wahrscheinlich wäre das Rennen viel enger ausgegangen, wenn Sie eine Woche vor Rotterdam nicht die „30iger Einheit“, am Sonntag einen „16ner“ und dann noch zwei Tempoeinheiten am Montag und Mittwoch hingelegt hätten. Manchmal hilft Ausruhen enorm, um die Leistung zu steigern. Und genau das werde ich jetzt machen, einige Tage nicht oder nur wenig Laufen, denn der nächste Lauf ruft schon, der Rhein-Ruhr-Marathon. Da bekommt Wolfgang wieder die Chance mich zu schlagen. (Wenn er noch will…)